Die Gewerkschaft ver.di und zwei südhessische Dekanate der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau stellten Normenkontrollanträge zur Überprüfung der hessischen Gewerbebedarfsverordnung. Die ergangene Entscheidung betrifft vor allem die Beschäftigung von Personal in Callcentern, zum Beispiel im Versandhandel, beim Online-Banking oder im Reisegewerbe (Callcenter sind in § 1 Abs. 1 Nr. 9 Bedarfsgewerbeverordnung geregelt).
Ebenfalls vom Urteil betroffen sind Videotheken und Bibliotheken in kommunaler oder kirchlicher Trägerschaft sowie Lotto- und Totogesellschaften mit elektronischer Geschäftsabwicklung.
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hatte zum Urteil eine Presseerklärung herausgegeben. Ebenfalls hat das Bundesverwaltungsgericht nach seiner Entscheidung eine Presseerklärung publiziert. Der Volltext des Urteils ist derzeit noch nicht verfügbar.
Verfassungsrechtlicher Hintergrund: Der Schutz der Sonn- und Feiertagsruhe geht auf Art. 139 Weimarer Reichsverfassung (WRV) zurück. Für bestimmte Branchen beinhaltete die hessische Bedarfsgewerbeverordnung die Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen ganzjährig für jeweils bis zu acht Stunden.
In allen anderen Bundesländern bestehen ähnliche Regelungen, daher besteht eine bundesweite Problematik. Die jeweiligen landesrechtlichen Regelungen heißen ebenfalls Bedarfsgewerbeordnung oder Bedürfnisgewerbeordnung.
Aus den Urteilsgründen: Die Ungültigkeit der Bedarfsgewerbeverordnung beruht nach der mündlichen Urteilsbegründung des VGH (Aktenzeichen: 8 C 1776/12.N) auf dem Fehlen einer ausreichenden Verordnungsermächtigung des Landes Hessen durch den zuständigen Bundesgesetzgeber im Arbeitszeitgesetz vom 6. Juni 1994. Zwar enthalte dieses seither mehrfach geänderte Gesetz eine gestaffelte Verordnungsermächtigung für Ausnahmeregelungen der Bundesregierung und der Landesregierungen. Jedoch müsse nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts bei Eingriffen in Grundrechte der Gesetzgeber selbst alle wesentlichen Grundentscheidungen selbst treffen und dürfe diese nicht der Exekutive überlassen. Deshalb lasse die Verordnungsermächtigung im Arbeitszeitgesetz so tief greifende Ausnahmen vom Gebot der Sonn- und Feiertagsruhe nicht zu (Quelle: VGH Pressemitteilung Nr. 28/2013 vom 12. September 2013).
Im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (Aktenzeichen: 6 C CN1.13) heißt es, dass die bisher bestehende Regelung aufgehoben wurde, weil sie eine Beschäftigung in allen gegenwärtig und künftig vorhandenen Callcentern zulässt, gleichgültig für Unternehmen welcher Branche oder für welchen Tätigkeitsbereich das Callcenter tätig wird. Dass der Betrieb von Callcentern in diesem Umfang erforderlich ist, um tägliche oder an Sonn- und Feiertagen besonders hervortretende Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen, lässt sich demnach nicht feststellen (Quelle: BVerwG Pressemitteilung Nr. 69/2014 vom 26. November 2014).
Der CCV vertritt die Interessen seiner Mitglieder und der Branche aktiv gegenüber dem Gesetzgeber und setzt sich für eine zügige Beseitigung der bestehenden Rechtsunsicherheit ein:
“Das heutige Urteil, Sonn- und Feiertagsarbeit im Callcenter zu verbieten, ist ein Schlag ins Gesicht der Verbraucher”, sagt Manfred Stockmann, damaliger Präsident des Call Center Verband Deutschland e.V. (CCV). “Jetzt ist der Bundesgesetzgeber gefordert, schnell mit einer Änderung des Arbeitszeitgesetzes zu reagieren.” Denn am Sonntag telefonisch nicht erreichbar zu sein, sei für viele Unternehmen keine Option. Es drohe die Abwanderung von Arbeitsplätzen zunächst in andere Bundesländer oder gleich ins benachbarte Ausland (CCV Pressemitteilung vom 26. November 2014).