Brexit

Constantin Jacob, Leiter Recht & Regulierung und Verbandsjustitiar im Customer Service & Call Center Verband Deutschland e. V. (CCV)

Am 23. Juni 2016 votierten 51,89 % der Abstimmenden für einen EU-Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland. Die Folge ist ein beispielloser Verhandlungsmarathon. Am 29. März 2019 endete die zweijährige Übergangsfrist.

Rechtsgrundlage: Ursprünglich sahen die europäischen Verträge keinen Austritt eines Mitgliedstaats aus den Europäischen Gemeinschaften bzw. aus der EU vor. Es war lediglich die Suspendierung von Mitgliedsrechten bei schwerwiegenden und anhaltenden Verletzungen der gemeinschaftlichen Grundsätze vorgesehen. Da die europäischen Verträge jedoch auch völkerrechtliche Verträge darstellen, wäre ein Austritt auf Grundlage des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge denkbar gewesen.  Mit dem Vertrag von Lissabon wurde schließlich durch Art. 50 EU-Vertrag eine Austrittsklausel eingeführt: Jeder Mitgliedstaat kann demnach beschließen, freiwillig aus der EU auszutreten. Die EU handelt in der Folge mit diesem Staat das Abkommen über den Austritt sowie dessen künftige Beziehungen mit der EU aus.

Entwicklung und aktueller Stand: Am 29. März 2017 erklärte das Vereinigte Königreich seinen Austritt aus der EU. Es folgten zwischen dem Land und der EU langwierige Verhandlungen, am 14. November 2018 einigten sich die Parteien schließlich auf ein Austrittsabkommen. Am 10. Dezember 2018 erklärte der EuGH, dass das Vereinigte Königreich seine Austrittserklärung einseitig zurücknehmen kann. Im ersten Quartal 2019 scheiterte das Austrittsabkommen mehrfach im Unterhaus. Knackpunkt ist v. a. der sogenannte „Backstop“. Auf der irischen Insel entsteht durch den Brexit eine EU-Außengrenze zwischen EU-Mitglied Irland und dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland.  Um das Aufflammen alter Konflikte abzuwenden,  verhindert der Backstop Grenzkontrollen und garantiert den freien Warenverkehr zwischen Irland und Nordirland, solange es kein gemeinsames Handelsabkommen gibt; das Vereinigte Königreich verbleibt in der EU-Zollunion, Nordirland gar im europäischen Binnenmarkt. Brexit-Befürworter lehnen dieses Konstrukt ab. Am 11. April 2019 einigten sich das Vereinigte Königreich und die EU darauf, dass der Brexit bis zum 31. Oktober 2019 geordnet erfolgen soll. Auch dieser Termin scheiterte, da mehrfach die von der damaligen Premierminsterin Theresa May eingebrachten Brexit-Deals vom Unterhaus abgelehnt wurden. Nachdem in der Folge Theresa May von ihrem Amt als Parteivorsitzende der konservativen „Tories“ und schließlich als Premierministerin zurücktrat, wurde Boris Johnson am 23. Juli 2019 zum neuen Premierminister und Parteivorsitzenden gewählt. Nachdem auch dieser mehrfach Niederlagen im Unterhaus hinnehmen musste, erfolgten am 12. Dezember 2019 Neuwahlen zum Unterhaus, die seine konservative Partei deutlich gewann. Am 20. Dezember 2019 stimmte das Unterhaus für Johnsons Austrittsvertragsentwurf und am 22. Januar 2020 ratifizierte das Oberhaus das Brexit-Abkommen. Schließlich stimmte am 29. Januar 2020 das EU-Parlament dem Brexit-Abkommen zu. Somit trat das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland am 31. Januar 2020 aus der EU und aus EURATOM aus. Nach dem Austritt begann eine Übergangsphase, die bis zum 31. Dezember 2020 dauerte, in der das Land Teil des EU-Binnenmarkts und der Zollunion blieb. Innerhalb dieser Übergangsphase musste sich das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland an alle EU-Regeln halten. Parallel standen schwierige Verhandlungen zwischen der EU und dem Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland über die weiteren Beziehungen beider Parteien an. Ohne einen erfolgreichen Abschluss dieser Verhandlungen hätte es einen No-Deal-Brexit mit schwerwiegenden Folgen gegeben. 

Erst am 24. Dezember 2020, also lediglich eine Woche vor dem Stichtag, konnte eine Grundsatzvereinbarung über ein langfristiges Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland erzielt werden. Dieses wurde von der britischen Regierung und der EU-Kommission unterzeichnet und trat nach der Zustimmung der Regierungen aller EU-Mitgliedsstaaten zunächst vorläufig in Kraft. Anschließend war die Ratifikation durch das britische Unterhaus, das Europäische Parlament und in einigen Fällen auch durch die nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten erforderlich. Auf britischer Seite erfolgte die Abstimmung darüber noch am 30. Dezember 2020. Am 1. Januar 2021 endete damit die seit dem 1. Februar 2020 gültige Übergangsphase, das Vereinigte Königreich hat den EU-Binnenmarkt und die Zollunion verlassen. Das Handels- und Kooperationsabkommen fand zunächst vorläufig Anwendung. Am 27. April 2021 stimmte das EU-Parlament dem Abkommen zu.

Wichtige Folgen des Brexit: An dieser Stelle gibt der CCV einen kleinen Überblick über einige wichtige Folgen des Brexit. Im Bereich Downloads können Sie z. B. den Austrittsvertrag sowie Verlautbarungen bzgl. des Datenschutzes herunterladen.

  • Datenschutz: Premierministerin May betonte in einer Rede 2018, das Vereinigte Königreich gewährleiste einen außergewöhnlich hohen Datenschutzstandard. Hinsichtlich der Folgen bzgl. der DSGVO war zunächst zwischen einem geordneten Brexit und einem No-Deal-Brexit zu unterscheiden (siehe hierzu die Stellungnahmen der Datenschutzkonferenz sowie des Europäischen Datenschutzausschusses im Bereich Downloads weiter unten):
    • Geordneter Brexit: Nach dem Austrittsvertrag gilt die DSGVO für einen Übergangszeitraum  zunächst weiter.
    • No-Deal-Brexit: Das Vereinigte Königreich wird zu einem Drittland. Für die Datenübermittlung sind demnach die besonderen Maßnahmen nach Kapitel V der DSGVO zu berücksichtigen. Werden diese nicht berücksichtigt, drohen u. a. Geldbußen.
    • Die Europäische Kommission traf am 28. Juni 2021 Angemessenheitsbeschlüsse gemäß Art. 45 DSGVO für die Übermittlung personenbezogener Daten in das Vereinigte Königreich. Mit diesen Angemessenheitsbeschlüssen stellte die Europäische Kommission fest, dass das Vereinigte Königreich ein angemessenes Schutzniveau bietet. Datenübermittlungen bedürfen daher keiner besonderen Genehmigung. Verantwortliche und Auftragsverarbeiter sind demnach nicht verpflichtet, geeignete Garantien im Sinne von Art. 46 DSGVO vorzusehen. Unberührt davon bleibt natürlich die Pflicht des Verantwortlichen zur Prüfung, ob die sonstigen, allgemeinen datenschutzrechtlichen Voraussetzungen für die entsprechende Datenübermittlung erfüllt sind. Vor der Annahme der Angemessenheitsbeschlüsse wurde das Vereinigte Königreich übergangsweise auf Grundlage eines mit der Europäischen Union abgeschlossenen Austrittsabkommens datenschutzrechtlich vorläufig weiterhin wie ein EU-Mitgliedsstaat behandelt („Interim provision for transmission of personal data to the United Kingdom“).
    • Aktuelle Informationen zu den Folgen des Brexit für den Datenschutz erhalten Sie bspw. hier: Bundesministerium des Innern, Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, IHK Stuttgart, TaylorWessing Rechtsanwälte (PDF), Noerr Rechtsanwälte, Haufe.
    • Diese Fragestellung sowie weitere Themen werden auch ausführlich in der am 5. April 2022 veröffentlichten CCV-Publikation „Datenschutz- und Wettbewerbsrecht im Kundenservice“ erörtert.
  • Grundfreiheiten und Zollunion: Eine wesentliche Errungenschaft der EU und Triebfeder der wirtschaftlichen Entwicklung sind die vier Grundfreiheiten (Warenverkehrsfreiheit, Personenfreizügigkeit [zur der auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit sowie die Niederlassungsfreiheit für Unternehmen gehören], Dienstleistungsfreiheit, freier Kapital- und Zahlungsverkehr) und die Europäische Zollunion. Hier ist entscheidend, ob es zu einem weichen oder harten Brexit  kommt, inwieweit es weitere Verhandlungen und Zugeständnisse zwischen EU und Vereinigtem Königreich gibt und welche Rolle im weiteren Verlauf die Brexit-Hardliner spielen. Die EU betonte jedoch mehrfach, dass es keine „Rosinenpickerei“ geben wird und die vier Grundfreiheiten unteilbar sind. Sprich: Eine Freihandelszone wäre nur denkbar, wenn diese nicht nur Waren umfasst, sondern auch bspw. privilegierte Lösungen für Arbeitnehmer und Dienstleister aus den EU-Mitgliedstaaten  im Vereinigten Königreich gewährleistet sind.
  • Gesellschaftsrecht: Vor der Einführung der haftungsbeschränkten Unternehmergesellschaft (UG) als kleinere Variante der GmbH war es attraktiv, eine britische Limited zu gründen, um u. a. dem hohen Mindeststammkapital einer GmbH (25.000 €) zu entgehen. Solch eine Gründung war aufgrund der EU-Grundfreiheiten möglich. Die Limited ist auch eine Kapitalgesellschaft, eine Haftung erfolgt demnach mit dem Gesellschaftsvermögen und nur im absoluten Ausnahmefall mit dem Privatvermögen der Gesellschafter. Nach dem Brexit und etwaigen Übergangsfristen werden jedoch nicht-deutsche Rechtsformen wie die Limited automatisch wie eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) oder eine offene Handelsgesellschaft (oHG) behandelt. Gesellschafter haften folglich mit ihrem Privatvermögen für Verbindlichkeiten ihres Unternehmens und müssen möglicherweise höhere Steuern zahlen. Seit 1. Januar 2019 ist das Vierte Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes mit neuen Regeln für die grenzüberschreitende Verschmelzung in Kraft: Der deutsche Gesetzgeber hat hiermit die Umwandlung eines Unternehmens von einer Limited in eine deutsche Gesellschaftsform erleichtert. Noch bestehende, in Deutschland ansässige Limiteds müssen sich unbedingt mit diesem Thema auseinandersetzen und einen spezialisierten Rechtsanwalt oder Steuerberater kontaktieren!

Herausforderungen für Unternehmen: Wie oben bereits dargestellt, ergeben sich für die Unternehmen viele Herausforderungen, z. B. im Rahmen des Datenschutzes, des Binnenmarkts sowie im Gesellschaftsrecht. Die Europäische Kommission hat für Unternehmen eigens eine Website eingerichtet, auf der sie über die Folgen des Brexit informiert, aufklärt, welche Unternehmen v . a. betroffen sind, und wie sich ein Unternehmen vorbereiten kann. Auch hat die Europäische Kommission eine Checkliste für Unternehmen sowie einen Zoll-Leitfaden veröffentlicht. Über den aktuellen Stand des Brexit informieren die Europäische Kommission auf ihrer Task-Force-Seite sowie das Auswärtige Amt. Zudem stellt die Deutsch-Britische Industrie- und Handelskammer Informationen zur Verfügung. Über die Folgen des Brexit bzgl. des Datenschutzes hält das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat weitere Informationen bereit.

Fazit: Wenn Ihr Unternehmen wirtschaftliche Beziehungen (inklusive Datenverarbeitung) zum Vereinigten Königreich unterhält oder eine Limited ist, müssen Sie sich mit dem Thema Brexit intensiv auseinandersetzen.

Rechtliche Hinweise:
Diese Publikation stellt eine allgemeine und unverbindliche Information dar. Obwohl die Informationen mit größtmöglicher Sorgfalt erstellt wurden, besteht kein Anspruch auf sachliche Richtigkeit, Vollständigkeit und/oder Aktualität, insbesondere kann diese Publikation nicht den besonderen Umständen des Einzelfalls Rechnung tragen. Eine Verwendung liegt daher in der eigenen Verantwortung des Lesers. Jegliche Haftung des CCV wird ausgeschlossen. Der CCV darf als Branchenverband keine Rechtsberatung im Einzelfall leisten. Hierzu wenden Sie sich bitte je nach Fragestellung an einen spezialisierten Rechtsanwalt, Steuerberater oder an einen (externen) Datenschutzbeauftragten. Alle Rechte, auch der auszugsweisen Vervielfältigung, liegen beim CCV.

Stand: 28. Juni 2021

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