EuGH-Urteil zur Rufnummernpflicht im Onlinehandel (Juli 2019)

Constantin Jacob, Leiter Recht & Regulierung und Verbandsjustitiar im Customer Service & Call Center Verband Deutschland e. V. (CCV)

Am 10. Juli 2019 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass Unternehmen nicht in jedem Fall dazu verpflichtet sind, bei Fernabsatzverträgen den direkten Kundenkontakt über eine Ruf- und Faxnummer anzubieten.

Ausgangslage

Vorausgegangen war ein jahrelanger Rechtsstreit zwischen dem Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. (VZBV) und Amazon, den Amazon in den Vorinstanzen jeweils für sich entschied. Schließlich legte der Bundesgerichtshof (BGH) die entscheidende Frage nach dem Verhältnis zwischen der Richtlinie 2011/83/EU (Verbraucherrechte-Richtlinie) und der deutschen Regelung des Art. 246a § 1 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB in Verbindung mit § 312d BGB dem EuGH im Wege des sogenannten Vorabentscheidungsverfahrens vor.

Exkurs: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens (Art. 267 AEUV) können die Gerichte der EU-Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem EuGH Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der EuGH entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des EuGH zu urteilen. Diese Entscheidung bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.

Die Verbraucherrechte-Richtlinie sieht bei Fernabsatzverträgen u. a. in Art. 6 Abs. 1 lit. c vor, dass Unternehmer gegebenenfalls ihre Telefonnummer, Faxnummer und E‑Mail-Adresse kommunizieren sollen, damit der Verbraucher schnell Kontakt zu ihm aufnehmen und effizient mit ihm kommunizieren kann, sowie gegebenenfalls die Anschrift und die Identität des Unternehmers, in dessen Auftrag er handelt. Wichtig ist im Rahmen der Auslegung der einschränkende Begriff „gegebenenfalls“; die aufgezählten Kommunikationsmittel sind insofern jeweils als Option zu verstehen. Dagegen ist der Unternehmer bei Fernabsatzverträgen nach deutschem Recht gemäß Art. 246a § 1 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB in Verbindung mit § 312d BGB dazu verpflichtet, vor Abschluss des Vertrags mit einem Verbraucher stets seine Telefonnummer anzugeben.

Die VZBV war der Ansicht, dass Amazon gegen seine gesetzliche Verpflichtung aus Art. 246a § 1 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB in Verbindung mit § 312d BGB verstoße, dem Verbraucher effiziente Mittel zur Kontaktaufnahme zur Verfügung zu stellen, weil es nicht in klarer und verständlicher Weise über seine Telefonnummer und seine Faxnummer informiere. Der Rückrufservice von Amazon erfülle der VZBV zufolge die Informationspflichten nicht, da für den Verbraucher eine Vielzahl von Schritten erforderlich sei, um mit einem Ansprechpartner in Kontakt zu treten.

Nachdem Amazon in den Vorinstanzen obsiegte, legte der BGH als letzte nationale Instanz dem EuGH die Frage vor, ob die Verbraucherrechte-Richtlinie der dargestellten deutschen Regelung entgegensteht und ob das Unternehmen verpflichtet ist, einen Telefon- oder Faxanschluss bzw. ein E-Mail-Konto neu einzurichten, damit die Verbraucher mit ihm in Kontakt treten können. Der BGH wollte zudem wissen, ob Unternehmen auf andere Kommunikationsmittel zurückgreifen können, wie etwa einen Internet-Chat oder ein Rückrufsystem.

EuGH-Entscheidung

Der EuGH entschied diesen Widerspruch erwartungsgemäß zugunsten der europarechtlichen Regelung und folgte damit – wie meist – dem Schlussantrag des EuGH-Generalanwalts. Demnach steht die Verbraucherrechte-Richtlinie der deutschen Regelung entgegen. Der EuGH stellte fest, dass das Unternehmen nach der Verbraucherrechte-Richtlinie nicht verpflichtet ist, einen Telefon- oder Faxanschluss bzw. ein E-Mail-Konto neu einzurichten, damit die Verbraucher stets mit ihm in Kontakt treten können. Das Unternehmen ist gemäß Verbraucherrechte-Richtlinie nur dann zur Übermittlung der Telefon- oder Faxnummer bzw. seiner E-Mail-Adresse verpflichtet, wenn es über diese Kommunikationsmittel mit den Verbrauchern bereits verfügt. Zugleich stellte der EuGH fest, dass die Verbraucherschutz-Richtlinie das Unternehmen verpflichtet, dem Verbraucher ein Kommunikationsmittel zur Verfügung zu stellen, das eine direkte und effiziente Kommunikation gewährleistet, wobei der Unternehmer auf andere Kommunikationsmittel als die in der Verbraucherrechte-Richtlinie genannten zurückgreifen kann, um diese Pflichten zu erfüllen.

Entscheidungsgründe

Zur Begründung führte der EuGH aus, dass ein hohes Verbraucherschutzniveau Zweck der Verbraucherrechte-Richtlinie ist. Dieser wird erreicht, wenn die Sicherheit der Verbraucher bei Geschäften mit Unternehmen gewährleistet ist. Hierzu muss der Verbraucher mit dem Unternehmen schnell Kontakt aufnehmen und effizient mit ihm kommunizieren können, etwa zur wirksamen Durchsetzung von Verbraucherrechten (insbesondere Widerruf).

Jedoch ist nach Ansicht des EuGH ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen solch einem hohen Verbraucherschutzniveau und der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen sicherzustellen, wie ebenfalls aus der Verbraucherrechte-Richtlinie hervorgeht. Dabei ist die unternehmerische Freiheit des Unternehmers, wie sie in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gewährleistet wird, zu wahren.

Aus diesem Grund erscheint nach Auffassung des EuGH eine unbedingte Verpflichtung des Unternehmens, dem Verbraucher stets eine Telefonnummer zur Verfügung zu stellen oder gar einen Telefonanschluss, Faxanschluss oder ein E-Mail-Konto neu einzurichten, damit die Verbraucher mit ihm in Kontakt treten können, unverhältnismäßig.

Sofern eine direkte und effiziente Kommunikation zwischen dem Verbraucher und dem Unternehmer ermöglicht wird, können Unternehmen auch andere Kommunikationsmittel zur Verfügung stellen (wie z. B. ein elektronisches Kontaktformular, einen Internet-Chat oder ein Rückrufsystem). Voraussetzung ist, dass die Informationen bezüglich dieser Kommunikationsmittel dem Verbraucher in klarer und verständlicher Weise zugänglich gemacht werden.

Zusammenfassend:

  • Nach der Verbraucherrechte-Richtlinie ist ein Unternehmen nicht verpflichtet, einen Telefon- oder Faxanschluss bzw. ein E-Mail-Konto neu einzurichten.
  • Es muss gewährleistet sein, dass Verbraucher mit dem Unternehmen schnell Kontakt aufnehmen und effizient mit ihm kommunizieren können, etwa zur wirksamen Durchsetzung von Verbraucherrechten (inbesondere Widerruf).
  • Das Urteil besagt, dass Unternehmer selbst bestimmen können, wie sie konkret eine schnelle und effiziente Kontaktaufnahme für den Verbraucher ermöglichen.
  • Voraussetzung ist, dass die Informationen bezüglich dieser Kommunikationsmittel dem Verbraucher in klarer und verständlicher Weise zugänglich gemacht werden.
  • Das Unternehmen ist gemäß Verbraucherrechte-Richtlinie jedoch dann zur Übermittlung der Telefon- oder Faxnummer bzw. seiner E-Mail-Adresse verpflichtet, wenn es über diese Kommunikationsmittel mit den Verbrauchern bereits verfügt.

Der EuGH wies in seiner Entscheidung zudem darauf hin, dass es Sache der nationalen Gerichte ist, zu beurteilen, ob die vom Unternehmer zur Verfügung gestellten Kommunikationsmittel es dem Verbraucher ermöglichen, schnell in Kontakt zu treten und effizient mit ihm zu kommunizieren. Sprich: Die Beurteilung, ob Kommunikationsmittel diesen Anforderungen entsprechen, obliegt beispielsweise den deutschen Gerichten.

Kommentar des CCV

Zur Kundenzufriedenheit trägt insbesondere auch die schnelle, unkomplizierte Kontaktmöglichkeit bei. Nach Ansicht des CCV ist dies ein nicht zu unterschätzendes Qualitätsmerkmal. Die telefonische Erreichbarkeit kompetenter Ansprechpartner stellt hierbei die schnellste sowie effektivste Form der Kundenbetreuung dar, mit der sich Unternehmen von anderen Wettbewerben absetzen können. Darum sollten Unternehmen nicht vorschnell auf die telefonische Erreichbarkeit verzichten, sondern zuvor intensiv abwägen – ganz im Sinne der Kundenzufriedenheit und einer ganzheitlichen Betreuung des Verbrauchers.

Diese Fragestellung sowie weitere Themen werden auch ausführlich in der am 5. April 2022 veröffentlichten CCV-Publikation „Datenschutz- und Wettbewerbsrecht im Kundenservice“ erörtert.

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