Europapolitik

Die Call- und Contactcenter-Branche im Lichte der Europapolitik

Constantin Jacob, Leiter Recht & Regulierung und Verbandsjustitiar im Customer Service & Call Center Verband Deutschland e. V. (CCV)

Die Europawahl 2024 findet vom 6. bis 9. Juni statt. Hierzulande sind die Bürger am 9. Juni aufgerufen, die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments mitzubestimmen. Der CCV bekennt sich zur Europäischen Union (EU). Für die EU scheint es eine Schicksalswahl zu werden. Bleibt sie ein Garant für Frieden, Wohlstand und Freiheit? Oder gewinnen Kräfte die Oberhand, welche die EU infrage stellen, gar abschaffen wollen? Die Wahl ist nicht nur ein Zeichen für eine gemeinsame europäische Zukunft der Mitgliedstaaten, sondern ebenso bedeutend für die in der EU tätigen Unternehmen, darunter auch die deutschen Call- und Contactcenter.

Diese Themenseite vermittelt im Folgenden einen Überblick über die Forderungen des CCV im europäischen Kontext. Im Bereich Wissen finden Sie einen Überblick über den Brexit, die Bedeutung der EU, die historische Entwicklung und die Rechtsquellen sowie zentralen Institutionen.

EU-Regelungen betreffen auch im hohen Maße die Call- und Contactcenter-Wirtschaft. Folgende europapolitische Themen sind für den CCV und unsere Branche von besonderer Bedeutung; umfassendere Informationen zu diesen Fragestellungen finden Sie auf der jeweiligen CCV-Themenseite:

  • Artificial Intelligence Act (AI Act): Die EU möchte die Digitalisierung vorantreiben, um im globalen Wettbewerb zu bestehen. Im Rahmen dieser Bestrebungen stellte sie im Februar 2020 ihre Digitalstrategie vor. Ein zentraler Eckpfeiler dieser Strategie ist der AI Act, welcher Fragestellungen der Künstlichen Intelligenz (KI) regelt. Am 14. Juni 2023 wurde der AI Act vom Europäischen Parlament angenommen. Im Rahmen des sogenannten Trilogs hatten sich EU-Kommission, EU-Mitgliedstaaten und EU-Parlament am 8. Dezember 2023 nach langwierigen Verhandlungen grundsätzlich über den AI Act geeinigt. Am 13. März 2024 beschloss schließlich das Europäische Parlament mit dem AI Act die erste staatliche KI-Regulierung weltweit. KI ist in sehr vielen Bereichen der Wirtschaft die Zukunft und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und Europas hängt auch von der Regulierung durch den AI Act ab. Denn ein Übermaß an Regulierung wird die Wettbewerbsfähigkeit dieser Region hemmen, wegweisende Entwicklungen und wettbewerbsstärkende Anwendungen fänden woanders auf der Welt statt. Sprich: In welcher Art und Weise Europa die KI reguliert, wird ein entscheidender Faktor für die künftige Wettbewerbsfähigkeit unseres Kontinents sein.
  • Digitale Regulierung: Als sich die EU mit der E-Commerce-Richtlinie zuletzt umfassende Regeln fürs Internet gab, sah die Welt noch anders aus. Google steckte in den Kinderschuhen, Amazon verkaufte hauptsächlich Bücher, Facebook entstand erst Jahre später. Probleme wie Hassrede im Netz waren weniger präsent und die weltweite Marktbeherrschung einiger Tech-Unternehmen war nicht absehbar. Heute, etwa 20 Jahre später, hat sich die Lage erheblich verändert und das Wettbewerbsrecht entstammt zum Großteil der analogen Welt. Die Gesetze und Regeln in Europa sind den Realitäten der digitalen Welt nicht mehr gewachsen – das war der Eindruck, unter dem die EU-Kommission im Dezember 2020 ein großes Digital-Paket vorgeschlagen hat. Die EU schuf in diesem Zuge insbesondere mit dem Digital Markets Act (DMA) und dem Digital Services Act (DSA) entsprechende Regelwerke. Die Etablierung eines europaweiten Rechtsrahmens für digitale Märkte trägt grundsätzlich zur Transparenz und Stärkung der Rechtssicherheit bei. Die Bedeutung der digitalen Wirtschaft nimmt stetig zu, weshalb nach Ansicht der Politik Wettbewerbsverzerrungen infolge der Marktdominanz der Gatekeeper vorzubeugen sind. Gleichzeitig müssen die Eingriffe jedoch verhältnismäßig sein und dürfen Innovationen nicht hemmen.
  • Trans-Atlantic Data Privacy Framework (TADPF): Die EU und die USA starten mit dem TADPF den bereits dritten Versuch zur dauerhaft rechtssicheren Datenübertragung. Im März 2022 wurde bekannt, dass sich die EU und die USA auf eine neue datenschutzrechtliche Grundlage geeinigt haben, das TADPF. Auf Seiten der USA unterschrieb Präsident Biden die erforderliche Executive Order im Oktober 2022, mit der mehrere, dem Datenschutz dienende Anordnungen getroffen wurden (bspw. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beim Zugriff durch US-Geheimdienste, Etablierung eines Beschwerdeverfahrens). Den nach europäischem Recht notwendigen Angemessenheitsbeschluss traf die EU-Kommission am 10. Juli 2023, womit sie dem TADPF ein angemessenes Schutzniveau attestierte. Der CCV begrüßt dies.
  • ePrivacy-Verordnung (ePVO): Auch nach mehrjährigen Verhandlungen ist kein Ende in Sicht. Eine ePVO wird mittelfristig nicht in Kraft treten. Gründe sind u. a. handwerkliche Fehler und etliche Widersprüche zur DSGVO. Die ePVO enthält zudem äußerst restriktive Vorgaben. Es mehren sich zu Recht Bedenken zahlreicher Mitgliedstaaten, die ePVO könnte in ihrer jetzigen Entwurfsform einen erheblichen Wettbewerbsnachteil für europäische Unternehmen im globalen Wettbewerb bedeuten und insbesondere kleinere Unternehmen eine Schwächung ihrer Refinanzierungsmöglichkeiten erfahren. Von zentraler Bedeutung für die Branche sind Art. 14 und Art. 16 des aktuellen ePVO-Entwurfs. Nach Art. 14 ePVO-Entwurf müssen Provider den Endnutzern die Möglichkeit geben, eingehende Anrufe bestimmter Rufnummern, anonymer Quellen oder Präfixe zu sperren. Art. 16 ePVO-Entwurf bestimmt, dass Anbieter nicht nur ihre Telefonnummer angeben sollen, sondern eröffnet den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, zusätzlich die Übermittlung von Präfixen zu fordern, die dann nach Art. 14 ePrivacy-Entwurf gesperrt werden könnten. Betroffen können von solchen Sperrungen selbst jene Szenarien sein, in denen den Anrufen eine Einwilligung zugrunde liegt oder es sich um einen erwünschten Rückruf handelt. Da zudem die Pflicht zur Übermittlung von Präfixen vom Mitgliedstaat abhängt, droht ggf. eine Diskriminierung inländischer Unternehmen. Der sogenannte Trilog aus EU-Kommission, Rat der EU und Europäischem Parlament ist bei den Verhandlungen zur ePVO gefordert, Widersprüche zur DSGVO aufzulösen und den Interessen der Wirtschaft durch weniger restriktive Regelungen oder durch Erlaubnistatbestände Rechnung zu tragen sowie eine Inländerdiskriminierung zu vermeiden. Auch im Sinne eines reibungslosen Kundenservices, denn Kundenservice ist der Unternehmerbegriff für Verbraucherschutz! Sobald die ePVO doch noch verabschiedet ist, wird der CCV seine Mitglieder auf der entsprechenden Themenseite ausführlich informieren.
  • Brexit: Einen ungeordneten Brexit galt es zu verhindern. Ohne Austrittsabkommen hätte das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland nach Maßgabe der DSGVO als Drittland gegolten; mit entsprechenden Konsequenzen auch für Call- und Contactcenter. Zudem hätte ein „No Deal“ gravierende negative Folgen für die Freizügigkeit von Arbeitnehmern, Unternehmen, Dienstleistungen und Waren sowie für die grenzübergreifende Sozialversicherung gehabt. Am 24. Dezember 2020 konnten sich die EU und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland knapp vor Fristende (31. Dezember 2020) auf ein Abkommen einigen, ein No-Deal-Brexit konnte damit abgewendet werden.
  • Subsidiaritätsprinzip: Nach dem Subsidiaritätsprinzip soll eine (staatliche) Aufgabe soweit wie möglich von der unteren Ebene bzw. kleineren Einheit wahrgenommen werden. Dieses Prinzip ist eine der wesentlichen Grundlagen der Arbeit der EU und in Art. 5 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) kodifiziert. In der neuen Legislaturperiode muss gewährleistet sein, dass  die EU nur tätig wird, wenn die Maßnahmen der Mitgliedstaaten nicht ausreichen und wenn die politischen Ziele besser auf der Gemeinschaftsebene erreicht werden können. Die EU-Rechtsetzung ist nur zulässig, soweit der Binnenmarkt ohne einheitliche Regelungen nicht funktioniert oder unterschiedliche nationale Vorschriften zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Die EU darf demnach nur tätig werden, wenn sie in der Lage ist, effizienter als die Mitgliedstaaten zu handeln.
  • Selbstregulierung vor Fremdregulierung: Die EU (wie auch Deutschland im Rahmen seiner nationalen Gesetzgebung) hat in den vergangenen Jahren viel für den Verbraucher- und Datenschutz getan. Die bestehenden Verordnungen und Richtlinien sind ausreichend, schützen den Verbraucher umfassend und harmonisieren den europäischen Binnenmarkt. Es bedarf keiner weiteren Regulierung, weder auf europäischer noch auf nationaler Ebene.
  • Digitalisierung und Binnenmarkt: Ein digitaler Binnenmarkt ist zwingend notwendig, um entsprechende Dienstleistungen und Produkte europaweit anbieten zu können. Hierzu sind neben leistungsfähigen, europaweiten Telekommunikationsnetzen auch vereinheitlichte europäische Standards notwendig. Denn Call- und Contactcenter sind auch grenzüberschreitend tätig und bieten ihren Dienst am Kunden länderübergreifend an. Eine Überregulierung oder eine Digitalsteuer sind in diesem Zusammenhang kontraproduktiv und entsprechend abzulehnen.

Zahlreiche weitere Wirtschaftsverbände informieren ebenso über die bevorstehende Europawahl, etwa die vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V., der Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. (BDI) sowie die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).

Die europapolitischen Seiten des CCV werden fortlaufend den aktuellen Entwicklungen angepasst.

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